Qualifikation/„Rede, damit ich dich sehe“ (Sokrates) 

Erzeugen Texte Figuren oder sprechen Figuren ihren Text?

Wird auch angeboten für

Nummer und TypMTH-MTH-VER-VLK-QUA.18H.037 / Moduldurchführung
ModulQualifikation / Leitende Künstler 
VeranstalterDepartement Darstellende Künste und Film
LeitungJochen Kiefer, Barbara Sommer
ZeitMo 26. November 2018 bis Fr 7. Dezember 2018 / 9:30–13 Uhr
9:30-13:00 (ausser Donnerstag)
Selbststudium 14.00-17.30 Uhr
Anzahl Teilnehmende3 - 10
ECTS0 Credits
LehrformPflicht und Wahlpflicht / Vertiefen
ZielgruppenMA Dramaturgie (Pflicht) & MA Theater
Lernziele / Kompetenzen
  • Analyse verschiedener Beziehungen zwischen der Figur und dem Text, den sie sagt/den sie nicht sagt
  • Erforschung der verschiedenen Aspekte, die eine theatrale Figur in ihrer Komplexität und Individualität ausmachen (von der textuellen Struktur, über das Objekt emotionaler Anteilnahme bis hin zu gesellschaftlichen Bedeutungen)
  • Kritische Überprüfung eigener Rezeptionsmodelle
  • Entwicklung und Erprobung eigener theatraler Figuren-/ Textfragmente
InhalteGrundgedanken
Eine theatrale Figur entsteht aus verschiedenen Aspekten unterschiedlicher Provenienz: aus Aspekten, die sich erstens aus dem zu Grunde liegenden Stücktext extrahieren lassen, die zweitens in der Verkörperung der Figur durch den Schauspieler auffindbar werden und die sich drittens im Rezeptionsprozess selbst erst ereignen.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde im Zuge der Aufklärung der Stücktext zum Mass aller Dinge erklärt. Der Schauspieler war gezwungen seine eigene Körperlichkeit und Individualität dem Text unterzuordnen und soweit wie möglich hinter der Figur zu verschwinden. Im postdramatischen Theater hingegen wird die absolut gegenläufige Entwicklung sichtbar: der Schauspieler und dessen Persönlichkeit rücken immer mehr ins Zentrum. Die Aufführung selbst wird zum ausschlaggebenden Moment: der Text ist nicht mehr primär zu erfüllende Partitur, sondern wird zum (Spiel-) Material, zum inspirierenden Ideenfundus, zum widerspenstigen Ballast, zum produktiven Zwangskorsett. Dabei gewinnt aber nicht nur der individuelle Schauspieler, sondern auch der Rezipient in seiner subjektiven Wahrnehmung Einfluss am Entstehungsprozess der theatralen Figur.

Ausgehend von diesen Grundgedanken sollen in meinem Kurs folgende Leitfragen zur Debatte stehen: Wie plastisch werden Figuren alleine durch den Text? Wo ist der kritische Punkt, die kritische Menge, ab der durch den Text Konturen einer Figur entstehen? In wie fern limitiert der Text die Ausformulierung einer Figur? Ist der Text Spielmaterial der Figur? Und kann die Figur eine Distanz zwischen sich und ihrem Text generieren? Oder bleibt sie am Gängelband desselben hängen? In wie weit kann und muss die Figur ihren Text überwinden? Welche Rolle spielt das Unsagbare und das Nicht-Gesagte? Und welche Brille tragen eigentlich wir, die Rezipienten?

Konkrete Erforschung und praktische Übung
In einem ersten Schritt werden in der gemeinsamen Diskussion Textbeispiele aus der Theaterliteratur von der Antike bis zur zeitgenössischen Dramatik im Hinblick auf die Entstehung von Figuren durch Text/Sprache untersucht. Ziel ist es, jene textlichen Bausteine greifbar zu machen, die eine Figur von der Zweidimensionalität ihrer Textvorlage lösen und vor unserem inneren Auge eine erste konkrete und plastische Vorstellung des figuralen Wesens entstehen lassen. Grundlage der Analyse bilden vier Typen, die sich in den historischen Epochen der Theaterliteratur bis heute gleichermassen finden:
  • der/ die Liebende
  • der/die HerrscherIn
  • der /die Wahnsinnige
  • der/die IntrigantIn.
Durch den Vergleich der verschiedenen (historischen) Text-/Sprachformen unter dem Aspekt der vier „Figurentypen“ soll der Blick auf den Fundus der narrativen MÃ
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ffnet und erweitert werden: so ist das Textmaterial ganz unterschiedlich und spezifisch geformt, welches der Figur z.B. des /der Liebenden bei Sophokles, Shakespeare, Horvath, Brecht, Müller, Jelinek, Bärfuss etc. jeweils als Baustoff dient. Davon ausgehend, dass sich Figuren als kommunikative Artefakte beschreiben lassen, soll auch der eigene Rezeptionsprozess kritisch diskutiert werden.

In einem zweiten Schritt sollen die Studierenden aus ihrer eigenen Realität einen Menschen, den sie bewundern oder lieben, und einen Menschen, den sie verachten oder hassen, als Vorlage nehmen und diese (unter dem Leitaspekt eines der vier besprochenen Typen) in eine Bühnenfigur verwandeln. Die erforschten textlichen Aspekte, Materialen und Stoffe (mit ihrer je bestimmten „Oberflächenstruktur“) werden auf ihre praktische Anwendbarkeit geprüft. Die selbst geschriebenen Figuren-/Textfragmente sollen im Kurs „auf die Probe gestellt“, diskutiert und weiterentwickelt werden und damit den theoretischen Diskurs mit dem eigenen praktischen Erfahrungsschatz unterfüttern.
Termine26.11.-7.12.2018
Dauer9.30-13.00 Uhr (ausser Donnerstags)
Selbststudium 14.00-17.30 Uhr
Bewertungsformbestanden / nicht bestanden
SpracheDeutsch
BemerkungBarbara Sommer studierte an der Universität Wien Theater-, Film und Medienwissenschaften, im Nebenfach Cultural Studies. Sie entwickelt und schreibt gleichermassen und häufig in Teams Theaterstücke und Drehbücher. 2005 hatte sie ein Engagement als Dramaturgin am Schauspielhaus Zürich. Von 2009 bis 2011 war sie Dramaturgin am Burgtheater Wien und arbeitete dort u. a. mit David Bösch, Stephan Kimmig, Matthias Hartmann, Bastian Kraft und Jan Bosse. Parallel dazu unterrichtete sie am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien. Derzeit arbeitet sie als freischaffende Dramaturgin (zuletzt: „Wilhelm Tell“ am Schauspielhaus Basel, Regie: Stefan Bachmann), entwickelt diverse Ausstellungskonzepte und Drehbuchprojekte (derzeit: „Die Schwarze Spinne“ nach Jeremias Gotthelf (Produzent: snakefilms), „Moskau einfach“ (Regie: Micha Lewinsky (Langfilms)), ein Serienprojekt für SRF). Ausserdem forscht sie im Rahmen ihres Dissertationsprojektes an der Uni Bern über „mimetische Figurennarrative“. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Zürich.
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