Der falsche Komponist und das «Schweizerwesen»

Die Zürcher Hochschule der Künste wagt Grosses: Sie holt das Oratorium «Das Gesicht Jesajas» des Schweizers Willy Burkhard aus der Versenkung. Am Samstag gibt es die einzigartige Chance, das Werk des Lehrers von Klaus Huber und Rudolf Kelterborn besser kennenzulernen.

Felix Michel
Drucken
Der «Richtige»: der Schweizer Komponist Willy Burkhard (1900–1955). (Bild: PD)

Der «Richtige»: der Schweizer Komponist Willy Burkhard (1900–1955). (Bild: PD)

Eine Anekdote will, dass der Komponist Willy Burkhard in einer Abendgesellschaft der 1950er Jahre gebeten wird, etwas am Klavier zum Besten zu geben. Nach ein paar Fugen und Choralvorspielen ermuntern ihn die Gastgeber, nun doch bitte auch seine heitere Seite zu zeigen. Da endlich dämmert allen Beteiligten, dass man den falschen Burkhard eingeladen hat: Gerechnet hatte man offenbar mit Paul, dem Verfasser leichtfüssiger Werke wie der «Kleinen Niederdorfoper» und des Evergreens «O mein Papa». . .

Willy Burkhard hingegen, mit Paul Burkhard weder biologisch noch musikalisch verwandt, galt damals in erster Linie als Komponist geistlicher Werke, in dessen «gewollt spröder Art» sich «Schweizerwesen symbolisiert», wie es sein spitzzüngiger Kollege Peter Mieg formulierte – die Enttäuschung der Abendgesellschaft lässt sich demnach leicht ausmalen. Schon Mieg, der im gleichen Atemzug dessen «unversiegliche Phantasie» pries, wusste natürlich, dass dieses Burkhard-Bild höchstens die halbe Wahrheit darstellt. Burkhards beste Werke machen es deutlich – wenn sie denn aufgeführt werden.

Messianische Versprechungen

Schnitt und Zeitsprung in unsere Gegenwart: Probe im Konzertsaal 3 an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Fein leuchtende Klänge, die bekannten Intervalle gleichsam neu erfindend; ebenso zart wie idiomatisch geführte Instrumentalstimmen. Wo tatsächlich einmal Fugentechniken Verwendung finden, dann selten auf simpel «neobarocke» Weise. Über diesem Orchestersatz, alles andere als spröde, zeichnet die Sopranistin Anna Gschwend die eigentümlichen Gesangslinien so klar und geschmeidig, als gäbe es nichts Einfacheres. Erarbeitet wird in intensiven, minuziös durchgeplanten Probetagen «Das Gesicht Jesajas» – das Werk, mit dem Burkhard, gefördert vom Musikmäzen Paul Sacher, 1936 seinen Durchbruch erzielte.

Das im Titel des Oratoriums stehende «Gesicht» meint die Visionen des Propheten, und Burkhard interessiert sich für den endzeitlichen Schrecken nicht weniger als für die messianischen Versprechungen. Damit traf er den Nerv seiner Zeit. Das Verfahren, im Zeitlosen der teils alttestamentlichen, teils frühreformatorischen Texte die zeitgebundene Gegenwart zu spiegeln, zeigt darüber hinaus, wie wenig er liturgisch denkender «Kirchenmusiker» war.

Tatsächlich deckt sein Œuvre vom Lied über Kammermusik bis zur Oper fast alle Gattungen ab; besondere Erwähnung mag das feingliedrige Violinkonzert von 1945 verdienen oder die auf Morgenstern-Texte geschriebene, nur für Sopran und Klaviertrio gesetzte «Herbstkantate» von 1933. Letztere zeigt bereits die Verwendung eingängiger, zwischen Gesang und Instrumenten wandernder Melodieformeln, wie sie auch das Jesaja-Oratorium abschnittweise prägen.

Bis diese Formeln ihre Schlackenlosigkeit gewonnen haben, bedarf es in der Orchesterprobe an der ZHdK noch mancher Feinkorrektur, welche die jungen Studierenden oft beeindruckend rasch umzusetzen wissen. Beat Schäfer, der die grosse, Orchester und Chöre der ZHdK vereinende Produktion leitet, weist im Gespräch auf die seit der Jahrtausendwende markant gewachsene Vertrautheit der Studierenden mit neuer, aber auch mit alter Musik hin. Gerade Musik aus der Mitte des 20. Jahrhunderts profitiere von beidem; nicht zuletzt von der Artikulationsvielfalt der historisch informierten Praxis.

Das hochkarätige Solistentrio zeigt es beispielhaft: Gschwend pflegt ein Repertoire vom Barock bis zur Gegenwart, und ohne Studium der alten Musik bliebe Michael Feyfars Tenorstimme bei aller Kraft wohl nicht so lyrisch-beweglich. Ruben Drole schliesslich macht mit seiner kultivierten Bassbariton-Kunst schon lange international Karriere.

Intimität statt Bombast

Schäfer wiederum, auf dessen ausdrücklichen Wunsch das «Gesicht Jesajas» nun erklingt, sucht in seiner Interpretation das Intime, Persönliche, wie es sich insbesondere in einzelnen klein besetzten Nummern zeigt. So will er das Werk – trotz grosser Besetzung und rund 70 Minuten Dauer – vom Oratorienbombast befreien und den Komponisten zugleich von jeglicher Frömmlerei wegrücken.

Die resultierende Mischung aus Erfindungsgabe, masshaltender Klangsinnlichkeit und individuellem Ernst mag an Arthur Honegger oder Frank Martin erinnern; auch Willy Burkhards Schüler Klaus Huber und Rudolf Kelterborn scheinen ihm darin zu folgen. Mit Martin und Honegger teilt Willy Burkhard die doppelte Verwurzelung in der deutschen und der französischen Tradition – dies vielleicht tatsächlich eine Facette damaligen «Schweizerwesens»? Wer sich selbst ein Bild machen möchte, hat am Samstag Gelegenheit dazu.

23. Februar, 19 Uhr 30, Pauluskirche Zürich, Milchbuckstrasse 57. Weitere Informationen unter zhdk.ch/veranstaltung/34991.

Mehr von Felix Michel (fmi)

Mehr zum Thema ZHdK – Zürcher Hochschule der Künste

Mehr zum Thema ZHdK – Zürcher Hochschule der Künste

Alle Artikel zum Thema