Finish vor dem grossen Auftritt: ein Besuch beim Orchester der ZHdK

Für angehende Musiker ist Orchesterpraxis ein wichtiger Teil der Ausbildung. Studierende der Zürcher Hochschule der Künste bringen dieser Tage ein Programm mit zeitgenössischen Kompositionen zur Vorführungsreife.

Thomas Schacher
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Diskutieren, Lachen und etwas Lampenfieber gehören dazu: Die Musikerinnen und Musiker des ZHdK-Orchesters warten beim Bühnenaufgang. (Bild: Priska Ketterer)

Diskutieren, Lachen und etwas Lampenfieber gehören dazu: Die Musikerinnen und Musiker des ZHdK-Orchesters warten beim Bühnenaufgang. (Bild: Priska Ketterer)

Sechseläutenmontag, 18 Uhr 30: Im Konzertsaal der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) im Toni-Areal beginnt die erste Tutti-Probe zu Luciano Berios «Sinfonia». Kaum jemand unter den achtzig Musikerinnen und Musikern des Orchesters der ZHdK scheint die Teilhabe am Volksfest zu vermissen. Vermutlich befinden sich nur ganz wenige Zürcher unter ihnen, und gemäss der Besetzungsliste im Programmheft bilden auch die Schweizer eine Minderheit. Dirigent des neuen Orchesterprojekts ist der Engländer Stefan Asbury. Nachdem er den ersten Satz der «Sinfonia» einmal hat durchspielen lassen, beginnt die Detailarbeit.

Der solistische Abschnitt mit Klavier, E-Cembalo, E-Orgel, Harfe und Marimba muss synchronisiert werden, bei den Streichern wird am Rhythmus gefeilt, beim Blech werden verschiedene Dämpfer ausprobiert, im Tutti geht es um die richtige Balance zwischen den Gruppen. Asbury verfügt über eine messerscharfe Schlagtechnik, kennt die Partitur hervorragend und hört (fast) alles. Die Orchestermitglieder wirken sehr konzentriert, einige noch etwas angespannt. Insgesamt herrscht eine professionelle Atmosphäre, eigentlich wie bei einem Berufsorchester.

Begeisterung steckt an

In der Pause auf diesen Unterschied angesprochen, erklärt Asbury: «Ein grosser Teil des Dirigierens besteht im Unterrichten. Da gibt es keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen einem sehr erfahrenen Orchester und einem Studentenorchester.» Er muss es wissen, denn er war am Tanglewood Music Center während sechs Jahren für die Studienprojekte mit Neuer Musik zuständig und hat als Gastdirigent namhafte europäische und amerikanische Orchester geleitet. Was das Interesse für zeitgenössische Musik betrifft, konstatiert Asbury, dass es bei europäischen Orchestern grösser sei als bei amerikanischen. Das Wichtigste sei, dass der Dirigent ein Stück wirklich möge, dann würden die Orchestermitglieder allfällige Widerstände automatisch aufgeben. «Ich liebe auch nicht alle zeitgenössischen Stücke», sagt er, «aber was mir nicht liegt, führe ich eben nicht auf.»

Berios «Sinfonia» für acht Singstimmen und Orchester aus dem Jahr 1968 liebt Asbury zweifellos. «Für mich ist das eine sehr verständliche Komposition, verankert in der Entstehungszeit.» Tatsächlich verrät das Werk mit seiner Reverenz an den während der Arbeit an der Komposition ermordeten Martin Luther King und mit der Verarbeitung des Scherzos aus Mahlers zweiter Sinfonie – Mahler war durch Adornos Biografie zum Kultkomponisten des Fortschritts avanciert – viel Zeitgeist.

Das Vokalensemble Zürich ist bei dieser Probe noch nicht dabei. Insgesamt gibt es für das Konzert vom Sonntag in der Tonhalle Maag fünfzehn Orchesterproben. Das bedeutet für die Mitwirkenden harte Arbeit. Auf dem Programm stehen neben Berio Rachmaninows «Toteninsel», Bernd Alois Zimmermanns Trompetenkonzert und Rolf Liebermanns «Furioso». Die Klammer, welche die vier Kompositionen verbindet, ist das «Fremdmaterial»: Zimmermann zitiert den Spiritual «Nobody Knows» und bringt jazzige Klänge ins Spiel. Rachmaninow bezieht sich auf das gleichnamige Gemälde von Arnold Böcklin.

Eintauchen in die Praxis

Der Orchesterausbildung misst man an der ZHdK grosse Bedeutung bei. Neben dem Sinfonieorchester gibt es an der Ausbildungsstätte auch die Neue-Musik-Formation Arc-en-Ciel und das Kammerensemble. Im Masterstudium nehmen die Orchesterprojekte insbesondere bei den Performance-Studiengängen einen wichtigen Stellenwert ein. Das Hauptziel dieser Projekte ist gemäss Cobus Swanepoel, dem Leiter dieser Studiengänge mit Vertiefung Konzert, «die Anwendung von Fähigkeiten, welche in anderen Lehrveranstaltungen entwickelt werden. Die Orchesterprojekte sind so angelegt, dass die Studierenden während der vier Semester des Masterstudiums ein breites Spektrum an Repertoire mit unterschiedlichen Leitungen erarbeiten können.» Im Schuljahr 2017/18 stehen für die Orchesterprojekte neben Stefan Asbury auch Johannes Schlaefli, Jonathan Stockhammer, Gábor Takács Nagy und Ralf Weikert zur Verfügung.

Konzert: Sonntag, 22. April, 17 Uhr in der Tonhalle Maag, Zürich.

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