Ein Dokument seiner Zeit

Im letzten Jahr konnte Hans Werner Henze seinen 80. Geburtstag feiern. Das Orchester Musikkollegium Winterthur und sein Chefdirigent Jac van Steen haben sich etwas Zeit gelassen für ihren Beitrag zu den Feierlichkeiten, dafür aber jetzt für die Aufführung eines der Hauptwerke

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Im letzten Jahr konnte Hans Werner Henze seinen 80. Geburtstag feiern. Das Orchester Musikkollegium Winterthur und sein Chefdirigent Jac van Steen haben sich etwas Zeit gelassen für ihren Beitrag zu den Feierlichkeiten, dafür aber jetzt für die Aufführung eines der Hauptwerke des Komponisten gesorgt. Und eines seiner persönlichsten Stücke: das aufs Ganze gehende dritte Klavierkonzert «Tristan - Preludes für Klavier, Tonbänder und Orchester» (1973). Da das Werk die Besetzungskapazität des Orchesters und das Volumen des Winterthurer Stadthaussaals gesprengt hätte, wurde unkompliziert mit der Zürcher Musikhochschule zusammengearbeitet und die Aufführung in die (trotz Ferienzeit ausgezeichnet besuchte) Tonhalle Zürich verlegt.

Henzes «Tristan» ist noch heute ein verrücktes Werk. Welche Vielgestaltigkeit, welcher Reichtum an inhaltlichen Verknüpfungen von musikalischen Zeichen auf allen Ebenen. Wie werden hier Materialmassen freigespielt - hemmungslos, wuchernd. «Tristan» ist ein Zeitdokument (das uns Studenten seinerzeit ästhetisch erheblich verwirrte), aber auch viel mehr: eine Auseinandersetzung mit Kultur- und Musikgeschichte aus der so eigenen Perspektive Henzes, für den Leben und Kunst, Privates und Öffentliches eins sind. Und ein Werk, das eine Eindringlichkeit entwickelt, die einen kaum unberührt lässt.

Grandios, mit welchem Engagement das mit Studierenden erweiterte Orchester das Werk anging. Und für Jac van Steen schien die Aufführung eine Herzensangelegenheit zu sein. Zudem konnte als Solist der Pianist gewonnen werden, der 1974 die Uraufführung gespielt, der 1978 bei der bisher einzigen Aufführung in Zürich mitgewirkt hatte und der sich auch an diesem Abend mit Nachdruck dafür einsetzte: Homero Francesch. Unglaublich, mit welchem Feingefühl er dem präludierenden Gestus des Auf und Ab nachspürte, wie auch in seiner Klangkultur bei jedem Anschlag Kulturgeschichte aufleuchtete. Eine aufwühlende Aufführung also - ausser auf einer Ebene: Warum erfolgte die Zuspielung der elektronischen Klänge nicht auch auf diesem professionellen Niveau? Man kann doch nicht einfach den Startknopf drücken und zurücklehnen, ohne zuvor nochmals die korrekte Einstellung der Geräte zu überprüfen und ohne die Zuspielung ständig den Gegebenheiten so anzupassen, dass die vom Komponisten beabsichtigte Wirkung zustande kommt. - Eröffnet wurde der Abend mit Richard Wagners Wesendonck-Liedern, die Henze 1976 für Altstimme und Kammerorchester orchestriert hatte. Eine Instrumentation intimen Ausdrucks, heikel (die Winterthurer hätten noch eine halbe Probe mehr brauchen können), die wunderbar den Ton der Lieder trifft. Ursula Ferri gab ihnen mit ihrer sonoren Stimme Intensität.

Alfred Zimmerlin

Eine Aufzeichnung des Konzerts wird am Donnerstag, 22. Februar, 20 Uhr, von Schweizer Radio DRS 2 ausgestrahlt.