Bewegte Bilder, alter Meister

Warteschlangen vor dem Kassahäuschen im Zürcher Schiffbau, eine volle Zuschauertribüne in der Halle 2: Die diesjährige Jubiläumsausgabe der Tage für Neue Musik liess sich für die Veranstalter gut an. Das grosse Interesse galt der visuellen Umsetzung zweier 1954 uraufgeführter Werke,

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Warteschlangen vor dem Kassahäuschen im Zürcher Schiffbau, eine volle Zuschauertribüne in der Halle 2: Die diesjährige Jubiläumsausgabe der Tage für Neue Musik liess sich für die Veranstalter gut an. Das grosse Interesse galt der visuellen Umsetzung zweier 1954 uraufgeführter Werke, der «Metamorphosen» von Bernd Alois Zimmermann und der «Déserts» von Edgar Varèse. Während die verrätselt ästhetisierten Bilder des Videokünstlers Bill Viola Varèses kompromissloser Musik eher die Spitze brachen, war bei den «Metamorphosen» gerade das Umgekehrte zu erleben. Mit dem originalen Film von Michael Wolgensinger, der Impressionen einer Spanienreise wiedergibt, gewann die Partitur zusätzliches Leben - und im zweitletzten Satz, wenn das blutige Ende eines Kampfstiers mit einer kalbenden Kuh gegengeschnitten wird, eine ganz neue Dringlichkeit. Unter der Leitung von Peter Hirsch trotzte das Zürcher Musikhochschul-Ensemble Arc-en- Ciel der trockenen Akustik eine farbige Klanglichkeit ab.

Fand diese Verbindung von Bild und Ton also ihr Publikum, haben es die traditionellen Konzertformen mit Neuer Musik in Zürich immer noch schwer, über einen Spezialistenkreis hinaus auf Resonanz zu stossen. Merklich gelichtet waren die Reihen bereits im folgenden Kammermusikkonzert mit der musikFabrik Nordrhein-Westfalen (Leitung: Titus Engel). Sie stellte unter anderem Stücke von Tiziano Manca und Gerald Eckert vor, denen ein eigener kleiner Festival-Schwerpunkt gewidmet war. Und am Abend darauf in der Tonhalle, wo das Collegium Novum mit dem Dirigenten Mark Foster gastierte, schien im weitläufigen Saal bezüglich Zuhörerschaft der Alltag wieder eingekehrt. Dabei verfügte das erste der gespielten Werke, das «Asko Concerto» von Elliott Carter, über alle Eigenschaften, die ein Orchesterkonzert zum Erlebnis machen. Wie vital und frisch, wie konzis in Formung und Ausdruck zeigt sich hier der bei der Niederschrift 92-jährige Komponist! Eckerts «offen - fin des terres» für Ensemble und Zuspielband dagegen wirkte wenig zwingend und blieb trotz metallisch klingender Elektronik in einer unverbindlichen Ambient-Atmosphäre stecken. Prägnanter in der Gestik ist Mancas «Nell'assenza dei venti», ein zunächst reizvolles farbiges Geflecht im Pianobereich, das in einem blockhafteren Schlussteil aufgeht. Unterstützt durch effektvolle Schlagzeugcrescendi, türmte Alberto Posadas schliesslich Klangwolken unterschiedlicher Dichtegrade auf. Doch auch sein Stück «Anamorfosis» zeigte, wie es heute schwierig geworden ist, neben den alten Meistern eine ganz eigene Handschrift zu entwickeln.

Jürg Huber