Geschlagen und gestrichen

Michelle Ziegler ⋅ John Cage in neuem Licht zu sehen – darum geht es vielen Veranstaltern in diesem Jahr, in dem sich der Geburtstag des amerikanischen Komponisten zum hundertsten Mal gejährt hat. Mit der Aufführung der «Klavierkonzerte» John Cages und

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Michelle Ziegler ⋅ John Cage in neuem Licht zu sehen – darum geht es vielen Veranstaltern in diesem Jahr, in dem sich der Geburtstag des amerikanischen Komponisten zum hundertsten Mal gejährt hat. Mit der Aufführung der «Klavierkonzerte» John Cages und mit drei Werken Erik Saties haben die beiden ausgewiesenen Cage-Kenner Werner Bärtschi und Jürg Wyttenbach bei «Rezital» nun auf persönliche Weise gezeigt, wie John Cage das Klavier offenbar aus Notsituationen heraus für verschiedene Imitationen benutzt und damit immer wieder das Musikverständnis seiner Zeit auf den Kopf gestellt hat. Dass das Orchester der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) bei dieser Hommage mitwirkte, war für beide Seiten ein Glücksfall.

Viele Seiten des Klaviers

Auf die Idee, das Klavier für Schlagzeugeffekte zu benutzen, sei Cage gemäss seinen eigenen Erzählungen gekommen, als er für eine Ballettmusik eine «afrikanische Atmosphäre» habe schaffen wollen und es auf und vor der Bühne keinen Platz für Schlaginstrumente gegeben habe. Im «Concerto for prepared piano and chamber orchestra» aus dem Jahr 1951 verlangt Cage für insgesamt 53 Töne der Klaviatur eine komplexe Präparation. Wirken die so erzeugten reichen Klangfarben auf Aufnahmen mitunter flach und fahl, entwickelten sie in der Interpretation Werner Bärtschis eine sinnliche Dringlichkeit. Ebenfalls präzise ausgestaltet waren die einzelnen Klänge im berühmten, offen gehaltenen «Concert for piano and orchestra» aus dem Jahr 1958.

Geradezu beschwörend war schliesslich das 1990 eigens für Werner Bärtschi geschriebene «Fourteen», in dem das Klavier wiederum andere Instrumente imitiert: Es wird hier wie ein Streichinstrument gestrichen. Wunderbar fügte es sich so in den gläsernen Orchesterklang, den das Orchester der ZHdK hier ohne Vibrato nahe an die Zerbrechlichkeit führte.

Viele Parallelen

«Cheap Imitation» nannte John Cage die Komposition, die er 1969 im Auftrag von Merce Cunninghams Ballettgruppe schrieb – und dies abermals aus einer Notsituation heraus. Denn die Tanztruppe hatte bereits eine Choreografie zu Erik Saties Drama «Socrate» einstudiert, dessen Bearbeitung für zwei Klaviere aus rechtlichen Gründen nicht gespielt werden konnte. Cage wusste sich zu helfen: Er schrieb ein einstimmiges Klavierstück, das dem Rhythmus der Gesangslinie aus Saties Werk folgte, die Melodie aber nur an ganz wenigen Stellen berücksichtigte.

Aufschlussreich war im Zürcher Tonhalle-Konzert die Gegenüberstellung von Erik Saties Drame Symphonique mit John Cages Umsetzung für Klavier und mit der später aus diesem Tochterwerk hervorgegangenen Fassung für Orchester. Jeannine Hirzel und das Orchester der ZHdK unter Jürg Wyttenbach strichen die Monotonie des Originals eindrücklich hervor.

Analog dazu fokussierte Bärtschi im ersten Teil aus Cages «Cheap Imitation» auf den Sprachgestus der Musik und zeichnete den Rhythmus und Fluss der ursprünglich benutzten Wörter und Sätze mit starkem Rubato nach. Schliesslich führte das Orchester der ZHdK die Version für Orchester gemäss den Vorgaben des Komponisten ohne Dirigenten auf, was als Experiment durchaus seine Berechtigung hat, im Konzert jedoch in der Abstimmung der Einsätze zu einigen Problemen führte.

In Saties «Trois petites pièces montées», die Wyttenbach burlesk und bodenständig gab, zeigten sich weitere Parallelen zu Cages Denken. Um das Gezierte der blockartig gefügten Musik von Saties Hauptwerk «Parade» hervorzuheben, fehlten indessen die Nuancen in der Gestaltung.

Zürich, Tonhalle, 15./16. September.