Blick nach China - der Dirigent Muhai Tang als Kulturvermittler

Der Chef des Zürcher Kammerorchesters, der Chinese Muhai Tang, der an der Hochschule Musik und Theater während einer Chinawoche eine Orchesterakademie geleitet hat, ist ein Kulturvermittler. Dennoch will er beim ZKO Asiatisches mit Augenmass einführen.

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Für das Interview nimmt er sich zwischen zwei Proben Zeit. Am Vormittag hat Muhai Tang mit dem Zürcher Kammerorchester (ZKO) geprobt, am Nachmittag steht eine Probe mit dem Orchester der Hochschule Musik und Theater Zürich bevor. Auf die Frage, wie er die Unterschiede zwischen diesen Klangkörpern empfinde, antwortet er: «Die Arbeit ist im Prinzip die gleiche. Beim Studentenorchester brauche ich mehr Zeit, bis technisch das gewünschte Resultat erreicht ist.»

Orchesterakademie

Die Musikhochschule führt seit 1998 Orchesterakademien durch. Die durch ein Probespiel ausgewählten Studierenden erarbeiten während einer Woche unter der Leitung eines bekannten Dirigenten ein Konzertprogramm, das sie anschliessend in der Tonhalle aufführen. Ziel der Akademie ist es, die angehenden Orchestermusiker noch vor dem Diplom realitätsnah auf ihren Beruf vorzubereiten. Als Muhai Tang vor einem halben Jahr als Dirigent angefragt wurde, sagte er sogleich zu. Er hat schon vor zwanzig Jahren, in der Zeit des Kalten Kriegs, mit chinesischen Jugendorchestern Tourneen nach Europa gemacht. Stets ist er begeistert von der Leidenschaft der jungen Leute, Eigenschaften, die bei professionellen Musikern manchmal etwas verkümmert sind. Bei der Orchesterakademie, bei der zwei chinesische Komponisten und Mahlers Erste Sinfonie auf dem Programm stehen, leitet Tang elf Proben. «Das ist natürlich viel», gibt er zu bedenken, «dafür kann man ein Jugendorchester noch formen, es kennt noch keine Tradition.» Das Ziel des Dirigenten ist es, das Potenzial des Orchesters bis an die Grenze auszuschöpfen, «dann hat ein Jugendorchester vielleicht grössere Wirkung als ein Profiorchester».

Am Nachmittag wird an der Musikhochschule die Sinfonische Ouverture Nr. 1 des Chinesen Xia Guan geprobt. Bei einem Kulminationspunkt mit gewaltigem Streichersound verlangt Tang von den Violinen viel mehr Bogen. Ein Solo der Pianistin wünscht er sich expressiver; nach drei Wiederholungen ruft er: «Bilden Sie sich ein, Sie seien Martha Argerich.» Und bei einer saftigen Orchesterpassage: «Das muss wie Mahler klingen.» In der Tat hat die Ouverture nichts Chinesisches an sich, bewegt sich stilistisch zwischen Richard Strauss und einer Filmmusik aus Hollywood. Im Konzert in der Tonhalle ist es dann die Komposition «Einleitung, Gesang und Allegro» von Li-Quing Yang, die das chinesische Kolorit abgibt. Und zwar dank der Solistin Xiaojing Wang, die durch ihren virtuosen Umgang mit dem Erhu, der traditionellen zweisaitigen Kniegeige, begeistert. Der näselnde Ton des Instruments, verbunden mit einer Melodik voller Glissandi und Mikrointervalle, erinnert an den Klang einer chinesischen Frauenstimme. Bei der Ersten Sinfonie Gustav Mahlers zeigt sich dann, etwa in der langsamen Einleitung und in der Durchführung des ersten Satzes, dass ein Studentenorchester noch einen langen Weg vor sich hat. Doch Muhai Tang schafft es, dass auch die hinterste Geigerin und der siebte Hornist voll bei der Sache sind. Dieses Engagement übt auf das Publikum eine unwiderstehliche Wirkung aus.

Herausforderung China

Nicht nur die Orchesterakademie, sondern auch die Studienwoche der Musikhochschule, die am kommenden Montag beginnt, wagt den Blick nach China. Es werden Konzerte, Workshops, Referate und Begegnungen mit Kulturschaffenden angeboten, die Gelegenheit bieten, das «Reich der Mitte» kennenzulernen. Die Veranstaltungen sind, mit Ausnahme der Workshops, öffentlich. Muhai Tang stellt fest, dass die Chinesen die europäische Kultur viel stärker wahrnehmen als umgekehrt. Die Europäer könnten da noch viel entdecken. Und «plötzlich merkt man, dass die Unterschiede zwischen Ost und West gar nicht so gross sind, wie man denkt».

In seiner ersten Saison beim ZKO fällt Tang bezüglich China nicht mit der Tür ins Haus. Mit Haydn und Beethoven bleibt der Schwerpunkt wie bisher bei der Wiener Klassik. Aber bei den Solisten finden sich Namen wie der des jungen Pianisten Yundi Li, des in Zürich inzwischen bestbekannten Lang Lang oder des Cellisten Jian Wang. Die spannendste musikalische Auseinandersetzung zwischen West und Ost steht im Juni bevor, mit Haydns Oper «L'isola disabitata» und einem Gastspiel des Ensembles der Jiangsu Province Kunqu Opera, das die Oper «Der Pfirsichblütenfächer» spielen wird. Ob Tang in der Saison 2007/08 beim ZKO mehr chinesische Musik programmieren wird, hängt davon ab, wie das Publikum jetzt reagiert. «Das Asiatische wird immer eine Nebensache bleiben», beteuert er, «ich bin in der europäischen Musik sehr zu Hause.»

Thomas Schacher

Studienwoche der Hochschule Musik und Theater, Florhofgasse 6, 18. bis 22. September. Erstes Abonnementskonzert des ZKO, Tonhalle, 21. September.