Meisterwerke der klassischen Moderne

Musikstudierende aus Zürich und Genf spielten unter der Leitung des Dirigenten Pierre-André Valade anspruchsvolle Musik des 20. Jahrhunderts. Das Publikum erlebte ein rauschendes Fest der Klänge.

Moritz Weber
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Nicht zum ersten Mal hatten sich die Zürcher Hochschule der Künste und die Haute école de musique de Genève für ihr gemeinsames Orchesterprojekt ein ambitioniertes Programm vorgenommen. Auch nicht zum ersten Mal wurde ihr Mut mit einem durchschlagenden Erfolg belohnt – dank dem Elan der Studierenden und der Arbeit des Dirigenten Pierre-André Valade, eines Spezialisten für neue Musik.

Die Werkauswahl zeigte Entwicklungen in der Musik des 20. Jahrhunderts auf. Der Abend begann mit der farbigen Ballettmusik «Petruschka» von Igor Strawinsky. Sie erzählt die unglückliche Liebesgeschichte der zum Leben erweckten Puppe Petruschka. In den turbulenten Jahrmarktszenen behielt Valade immer die Übersicht und stimmte die einzelnen Register fein aufeinander ab. Rhythmische Akzente setzte er wirkungsvoll, aber dosiert ein wie in der «Danse Russe», die so nicht schwerfällig, sondern ungemein spritzig wirkte. Die gross besetzten Streichergruppen tendierten an einigen geheimnisvollen Stellen dazu, die Stimmung zu entzaubern. Dafür passte der Klang der vielen Violinen im Forte umso besser, etwa zu der weit ausholenden Ohrwurm-Melodie im Ammentanz. Bemerkenswerte Einzelleistungen zeigten die hohen Holzbläser: In ihren Soli sorgten sie für Momente feinsinniger Musikalität.

Ein eindrückliches Fest der absoluten Klänge zelebrierten die Musizierenden dann in Edgar Varèses «Amériques». Deutlich elaborierter und emanzipierter als noch bei Strawinsky ist darin das Schlagwerk. In der in diesem Konzert gespielten späteren Version von 1927 ist es zwar leicht reduziert, trotzdem aber noch mit fast zwanzig verschiedenen Instrumenten vertreten. Die Geräusche der Stadt New York waren eine Inspirationsquelle für Varèse – gemäss seinen eigenen Worten waren es unter anderem Nebelhörner oder die «Flusssinfonie» des Hudson River. Und auch die im Stück mit einem gewichtigen Part bedachte Sirene sollte ursprünglich dieselbe sein wie die der örtlichen Feuerwehrautos. Gleichwohl wollte der Komponist «Amériques» nicht als Programmmusik verstanden wissen. Valade konnte sich auch hier auf die Präzision und die Musizierlust der Studierenden verlassen. Unermüdlich und mit höchster Konzentration folgten sie seinem Dirigat, welches immer wieder neue Spannung aufbaute aus den kraftvollen Rhythmen und den jähen Gegensätzen der Partitur. Valade liess auch die diversen Reminiszenzen an Musik aus dem damaligen Europa deutlich durchscheinen, und die vielen überwältigenden Klangballungen wirkten bei ihm nie chaotisch, sondern sie blieben stets durchhörbar.

Zürich, Tonhalle, 22. Oktober.