Von der hartnäckigen Kraft des Leisen

Jürg Huber ⋅ Einspruch: Das ist, was Klaus Huber sein Leben lang gewagt hat. Er tat dies manchmal laut und vernehmlich – wie im Oratorium «Erniedrigt – geknechtet – verlassen – verachtet» –, später aber mit zunehmend subtileren kompositorischen Mitteln.

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Jürg Huber ⋅ Einspruch: Das ist, was Klaus Huber sein Leben lang gewagt hat. Er tat dies manchmal laut und vernehmlich – wie im Oratorium «Erniedrigt – geknechtet – verlassen – verachtet» –, später aber mit zunehmend subtileren kompositorischen Mitteln. Oft atmen seine musikalischen Linien eine versponnene Schönheit, führen seine Klänge in einen verwunschenen Zaubergarten, ohne dabei den real existierenden Zustand der Welt auszublenden. An drei Konzerten, die ein zu Ehren des bald 86-jährigen Komponisten ausgerichtetes Symposium der Zürcher Hochschule der Künste begleiteten, war dies auf mannigfache Weise zu erleben. In den klug zusammengestellten Programmen war auch zu hören, zwischen welchen musikästhetischen Polen sich Hubers Komponieren bewegt.

Renaissance und Barock

Sein Bezug zur polyfonen Tradition der abendländischen Musik war Thema des Eröffnungsabends. Sogenannten «In nomine»-Kompositionen, Instrumentalstücken aus dem England des 16. Jahrhunderts von John Taverner, John Parson und John Bull, die Yvonne Ritter zunehmend beherzter auf dem Cembalo interpretierte, standen Werke von Huber gegenüber, die in ihrer Faktur Bezug nahmen auf Renaissance- und Barockmuster. Explizit im Anschluss an Taverners Stück ist «In nomine – ricercare il nome» für Streichtrio, Altflöte, Bassetthorn und Altposaune entstanden, das über ruhig sich verschiebenden mikrotonalen Klangflächen Gesten einzelner Instrumente wie unter dem Vergrösserungsglas zeigt. Auf eine Basslinie aus Henry Purcells «Dido and Aeneas» geht «Ein Hauch von Unzeit» zurück. In der dargebotenen Triofassung ist das ursprüngliche Flötenstück zu einem freien Kanon erweitert, den Lucas Jordan (Altflöte), Mariella Bachmann (Bassetthorn) und Samuel Winston Price (Altposaune) von verschiedenen Positionen im grossen Saal der Hochschule der Künste aus meditativ entwickelten. Ebenfalls aus den frühen 1970er Jahren stammt «. . . inwendig voller Figur . . .», woraus der Bariton Jon Harthug das Vokalsolo «Traumgesicht» klangschön und expressiv sang.

Der zweite Abend unter der Leitung von William Blank stellte Hubers Musik in den Kontext seiner Generationsgenossen Luigi Nono und György Ligeti. Wie Nono schon zu Beginn seiner Karriere strenge Konstruktion mit Klangsinnlichkeit zu verbinden wusste, war in «Polifonica-Monodica-Ritmica» zu hören. Ligetis «Melodien» mit ihren aus den Instrumentenregistern entwickelten Klangfarben brachte das hochschuleigene Ensemble Arc-en-Ciel schön zur Geltung. Dass Huber auch eine extravertierte Seite hat, die Virtuosität nicht verschmäht, zeigte das von Karolina Öhman engagiert vorgetragene Cellostück «Transpositio ad infinitum». Auch im wundervollen Kammerkonzert «Intarsi» aus dem Jahr 1994 kann sich der Pianist (Sergej Kiselev) zunächst virtuos entfalten. Das auf Mozarts Klavierkonzert B-Dur KV 595 referierende Werk, in das Zitate wie Intarsien eingelegt sind, entführt schliesslich in einen von Flirren, Sirren und Flimmern erfüllten arabischen Garten. Leider blieb die Dynamik gar robust, was die zauberhafte Wirkung beeinträchtigte.

Zahlreiches Publikum

An die in der Coda von «Intarsi» evozierte arabische Welt knüpfte das letzte Konzert an, nun mit dem Collegium Novum Zürich im Kleinen Saal der Tonhalle. Samir Odeh-Tamimis «Anín» entspannt sich unter Verwendung von Elementen der klassischen arabischen Musik in ritueller Strenge. Bei Bernd Alois Zimmermann ist es hingegen die abendländische Musikgeschichte von Bach bis Messiaen, die in seinen Werken wörtlich oder paraphrasiert auftaucht. Formidabel geriet die Wiedergabe der «Monologe» für zwei Klaviere. Christoph Keller und Stefan Wirth blieben der zupackenden Musik nichts schuldig und begeisterten das in grosser Zahl erschienene Publikum. Vergleichsweise zurückhaltend wirkt dagegen Hubers Streichtrio «Des Dichters Pflug». Urs Walker (Violine), Christian Zgraggen (Viola) und Judith Gerster (Violoncello) gaben den aus dritteltönigen Skalen gebildeten Klangflächen feine Kontur und durchsetzten sie mit prägnanten Pizzicato-Akzenten.

Für die Uraufführung der Neubearbeitung von «Erinnere dich an Golgatha . . .» erhielt das Collegium Novum Unterstützung vom Experimentalstudio des SWR. Anfänglich noch sehr präsent, tritt die Elektronik im Geflecht der Stimmen immer mehr zurück. Der Kontrabasspart (Johannes Nied) gemahnt an ein Kompendium von Spieltechniken, wie sie im freien Jazz und in der klassischen Avantgarde der sechziger und siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts entwickelt wurden, doch weichen die aufgeregten Gesten im Verlauf des Stückes zunehmend flächigen Klängen von irisierender Schönheit, aus denen sich zum Schluss eine tieftraurige Klage erhebt.