Vom Laureatus bis zum Lernenden

Während sechs Tagen verwandelte sich Zürich in eine Metropole der neuen Musik. Das vom Schweizerischen Tonkünstlerverein durchgeführte 107. Tonkünstlerfest zeigte eine farbige Palette heutiger Musik. Schwerpunkte bildeten die Ensembles, die Aktivitäten der Musikhochschulen sowie Installationen und Improvisationskunst.

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Sieht man von Heinz Holliger ab, der beim Eröffnungskonzert in der Tonhalle Zürich als Dirigent, Komponist und Preisträger in Erscheinung trat (NZZ 12. 7. 07), standen nicht die Komponisten, sondern die Ensembles im Scheinwerferlicht des Tonkünstlerfestes in Zürich. Denn der Vorstand des Schweizerischen Tonkünstlervereins (STV) hatte zuerst einmal die Ensembles ausgewählt, die dann ihrerseits die Programme nach ihren eigenen Vorlieben gestalteten. Am Schluss seien aber in den Programmen doch alle wichtigen Schweizer Komponisten aufgetaucht, so Ulrich Gasser, der Secrétaire artistique des STV. Zu ergänzen wäre, dass das Tonkünstlerfest auch einigen noch nicht arrivierten Komponisten eine Plattform bot. Das Motto «Passagen» sowie den Zeitpunkt des Festes hat der Tonkünstlerverein von der gleichzeitig tagenden Internationalen Gesellschaft für Musikwissenschaft übernommen.

Starke Ensembles

Das anlässlich der Weltmusiktage 1991 gegründete Ensemble Aequator setzt sich ausschliesslich für experimentelle und zeitgenössische Ausdrucksformen ein. In der Besetzung mit der Sängerin Silvia Nopper, dem Oboisten Matthias Arter, dem Cellisten Tobias Moster und der Pianistin Ingrid Karlen kombinierte das Ensemble in seinem Konzert an der Musikhochschule Werke von Komponisten aus Deutschland und der deutschen Schweiz mit Kammermusik von Robert Schumann. Am deutlichsten traten die beabsichtigten Wechselwirkungen bei Nicolaus A. Hubers Stück «Demijour» zutage, das sich auf Schumanns Lied «Im Zwielicht» bezieht. Das in der Gesamtwirkung sehr heterogene Werk pendelt wirkungsvoll zwischen Grellem und Erschreckendem einerseits und Leisem, Zerfallendem, Unheimlichem andererseits. In zwei ausgewählten Szenen aus Alfred Zimmerlins Kammeroper «Euridice singt» profilierte sich Silvia Nopper einmal mehr als traumwandlerisch sichere und bühnenwirksam agierende Sängerin und Performerin. Ratlosigkeit hinterliess dagegen Carola Bauckholts Duo «In ungewohnter Umgebung» für Klavier, Violoncello und Zuspielband. Diese Musik, die sich in unterschiedlicher Art auf Gebrauchsgegenstände bezieht, die per Video gezeigt werden, würde ohne das optische Element nur Langeweile erzeugen.

Dass das Phänomen der Passage auch als Aspekt einer geschickten Programmierung erscheinen kann, zeigte unter anderen das Ensemble Opera Nova Zürich. Als Leitplanke des Konzerts unter der Leitung von Marc Kissóczy wirkten die Instrumente Clavichord und Gitarre, zwei «zerbrechliche» Instrumente also, die mit den übrigen Beteiligten ganz unterschiedliche Verbindungen eingingen. In Jean-Jacques Dünkis «Etudes pour le clavicord» bricht das Clavichord dynamisch und stilistisch aus seiner Rolle als zirpendes Hausinstrument des 18. Jahrhunderts aus. In Klaus Hubers «Plainte II» für Flöte, Gitarre und Schlagzeug übernimmt die Gitarre im Dialog mit der Flöte gewissermassen die Rolle des gequälten Liebhabers. Und in Madeleine Rugglis «Analogies» für Kammerensemble wandelt sich die Gitarre vom Leader über die Rolle als marginale Erscheinung bis zur Ausgeschlossenen.

Einbindung der Musikhochschulen

Eine Besonderheit des diesjährigen Tonkünstlerfestes bildete die Einbeziehung der Schweizerischen Musikhochschulen, an denen die künftigen Interpreten und Komponisten herangezogen werden. Das aus einem wechselnden Pool Studierender zusammengesetzte Ensemble Arc-en-Ciel der Hochschule Musik und Theater Zürich präsentierte Werke von Komponisten, die eigens zum Thema «Passagen» geschrieben und von einer Jury des STV ausgewählt wurden. Christoph Neidhöfers gross besetzter «Zeitbogen» gab den jungen Interpreten unter der engagierten Leitung von Jürg Henneberger Gelegenheit, eine geschickt dosierte Klangwelt auszubreiten, die von zarten Gitarren- und Harfenklängen bis zum wilden Ausbruch der Perkussionsinstrumente reichte. Alte und neue Zeit begegneten einander in der Verwebung von Guillaume de Machauts Chanson «Ha! Fortune» mit Nadir Vassenas freier Verarbeitung derselben. Vassenas Quintett hörte sich sozusagen als klingende Archäologie an, tauchten darin doch die Elemente aus Machaut bruchstückhaft und entstellt wieder auf.

Der Musik der jüngsten Komponistengeneration widmeten sich Ensembles der Musikhochschulen Basel, Bern, Lugano, Luzern und Zürich, indem sie neue Werke aus ihren Kompositionsklassen vorstellen. Ein infolge der Absage des Ensembles aus Lausanne und Genf spontan einberufenes Gespräch zwischen drei Kompositionslehrern und ihren Studierenden ging unter anderem der Frage nach, welche Verbindlichkeiten für junge Komponistinnen und Komponisten im Zeitalter der Beliebigkeit noch beständen. Die Antwort gab das Konzert des Ensembles Tzara, das acht Kompositionen aus den Kompositionsklassen der Zürcher Musikhochschule präsentierte. Stilistisch herrschte tatsächlich der Pluralismus, als Inspirationsquelle diente meistens ein aussermusikalischer Bezugspunkt, über die Qualität konnte man trefflich streiten. Im Gedächtnis bleibt unter anderem Martin Skalskys Stück «Gesellschaft» für Violine und Live-Elektronik, welches das Thema der Vereinzelung im Klangmaterial und in der räumlichen Anordnung umsetzt.

Installationen und Improvisationen

Eine ganz andere Luft als in den Räumen der ehrwürdigen Musikhochschule an der Florhofgasse wehte bei den Projekten im öffentlichen Raum und bei den Installationen und den darin integrierten Performances in den Theaterhäusern an der Gessnerallee. Dieser Teil des Musikfestes spiegelt eine Richtung im STV, die der Improvisation und der Installationskunst im Vergleich zur komponierten Musik mehr Gewicht geben möchte. Wer das Zürcher Musikfest mit dem Auto besuchte und im vierten Untergeschoss des Parkhauses Gessnerallee parkte, konnte eine Überraschung erleben: Zwei Performerinnen rollten unterschiedlich geformte Blechräder vor sich her, während sechs Instrumentalisten die dadurch entstandenen Geräusche mit Posaune, Tuba, Violine, Kontrabass, Akkordeon und Perkussion kommentierten. «Lauter Blech» nennt sich die von der Bildhauerin Barbara Jäggi und dem Komponisten Urban Mäder konzipierte Performance sinnigerweise.

Um eine Klangaktion handelte es sich bei der Darbietung der Kontrabassistin und Performerin Cristina Wildbolz, die als Ersatz für das abgesprungene Duo «Blablabor» auftrat. Was zunächst als «normale» Improvisation auf dem Kontrabass anlief, weitete sich durch das Hinzutreten der Stimme, Blickkontakte mit dem Publikum und Paartanz mit dem Instrument zu einer theatralischen Aufführung. Als die aus verschiedenen Lautsprechern erklingenden Spielsalongeräusche immer aggressiver wurden, fiel Wildbolz wie tot um, was sie allerdings nicht daran hinderte, ihre Lage auf dem Boden mit einem Kreidestück wenigstens teilweise selber zu markieren. Eine Passage der besonderen Art.

Thomas Schacher