Prägende Erlebnisse

Mit einer dramaturgischen Präzision sondergleichen steuerte der Dirigent Roberto Benzi Höhepunkt und Katastrophe in Maurice Ravels Poème choréographique «La Valse» an, und für einen Moment vergass man, dass hier Studentinnen und Studenten auf dem Orchesterpodium der Tonhalle Zürich sassen. Benzi

Alfred Zimmerlin
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Mit einer dramaturgischen Präzision sondergleichen steuerte der Dirigent Roberto Benzi Höhepunkt und Katastrophe in Maurice Ravels Poème choréographique «La Valse» an, und für einen Moment vergass man, dass hier Studentinnen und Studenten auf dem Orchesterpodium der Tonhalle Zürich sassen. Benzi hat sie im Rahmen der Orchesterakademie 2009 an diesen Punkt geführt und mit ihnen ein bemerkenswertes Programm realisiert, das höchste Ansprüche stellt: zu Beginn die sinfonische Dichtung «Don Quixote» von Richard Strauss, nach der Pause eine französische Rarität, das Poème dansé «La Péri» von Paul Dukas, dann eben «La Valse». Die Orchesterakademie ist das Resultat einer Zusammenarbeit der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK Musik) und der Haute école de musique de Genève, was die Bildung eines wirklich grossen Sinfonieorchesters ermöglicht und den Studierenden die Chance gibt, das Ergebnis in beiden Städten an Konzerten zu präsentieren.

Das Pensum, das von den Registerproben bis zur Generalprobe geleistet wurde, war beträchtlich, beziehungsweise es entsprach dem, was ein Spitzenorchester leistet: täglich sechs Stunden Probe, wobei sieben Arbeitstage für ein solches Programm komfortabel sind. Hinzu kam indes noch ein Extra-Effort. Da die Berliner Philharmoniker mit ihrem Chef, Simon Rattle, in Zürich gastierten, ergab sich die Möglichkeit, mit Rattle einen Orchester-Workshop durchzuführen. In zwei zusätzlichen Proben und einer Aufwärmsitzung wurden die Studierenden vom Dirigenten Marc Kissóczy darauf vorbereitet, denn sinnvollerweise fand der Workshop nicht mit einem der Konzertwerke statt.

Zwei intensive und eindrückliche Stunden lang arbeitete Simon Rattle am letzten Satz der ersten Sinfonie von Johannes Brahms und machte den Studierenden unmissverständlich klar, was es heisst, in einem professionellen Orchester Spitzenleistungen zu erbringen. Was es heisst, zu verstehen, in welchem Zusammenhang ein Ereignis erklingt, wohin es führt und was es für das Ganze bedeutet. Und was es heisst, mit Leib und Seele den Kern eines Werkes zu zeigen. Das Erlebnis kann prägen. Prägend aber dürfte auch die Arbeit mit dem hocherfahrenen Roberto Benzi für das Orchester gewesen sein, das war in jedem Moment des Abschlusskonzertes in Zürich zu spüren. Es ist heikel, bei Richard Strauss' so nah der literarischen Vorlage entlang komponiertem «Don Quixote» einen formal überzeugenden Spannungsverlauf, orchestrale Transparenz und Farbigkeit zu erreichen und dabei auch noch das Verspielte dieser Musik zur Geltung zu bringen. Dies ist erstaunlich gut geglückt und zeigt, wie famos Roberto Benzi mit dem Orchester musikalisch gearbeitet hat.

Eindringlich auch der Auftritt des Cellisten Thomas Demenga, der einem die unterschiedlichen Facetten der Figur des «Don» plausibel machen konnte und etwa der fünften Variation die schönsten Cello-Farben entlockte. Und überzeugend die Solo-Viola (Sancho Panza), welche von einem ausgezeichneten Studenten, Lech Antonio Uszynski, tadellos gespielt wurde. Zur wunderbaren Begegnung wurde die Aufführung von «La Péri» von Dukas, denn hier war der aus Marseille stammende Benzi ganz in seinem Element. Die Delikatesse der Instrumentation zu zeigen, die erlesenen musikalischen Übergänge auszukosten, Poesie und Spannung dieser so französischen Musik freizulegen, das liegt ihm. Auch bei Ravel. Fabelhaft, zu welch beachtlicher Leistung er das Orchester führte.